Otto Wagner – Bedeutender Architekt der Wiener Belle Epoque

Erst als Kaiser Franz Josef dem Abbau der Wiener Stadtmauern zugestimmt hatte, wurde es möglich, die Innenstadt umfassend zu modernisieren. Um das Zentrum herum entstand der Ring, an dem moderne Wohnungen für die wohlhabenden Bürger errichtet wurden. Diese Modernisierung spiegelte das Kräfteverhältnis im Reich wider: Das Bürgertum gewann zunehmend an Einfluss und die Macht des Adels, der seine Wohnungen traditionell in der Nähe der Hofburg, dem Sitz des Kaisers, errichtete, schwand. Am 20. Dezember 1857 verfügte Kaiser Franz Joseph die Schleifung der Wiener Befestigungen. Es sollte an dieser Stelle ein Prachtboulevard entstehen, der von monumentalen öffentlichen und privaten Bauten gesäumt war. Die Stadtentwickler der Gründerzeit nahmen sich die europäische Metropole Paris zum Vorbild. In Paris entstanden bereits Mitte des 19. Jahrhunderts die Boulevards, wo Prachtbauten an die Stelle der Stadtbefestigung traten.
 
Der Wiener Architekt Otto Wagner hat die architektonische Modernisierung Wiens stark geprägt. Neben dem Bau der Ringstraße war Wagner auch Konstrukteur der Wiener Stadtbahn, von der noch eine Vielzahl von Bahnhöfen und Brücken erhalten sind. Wer war Otto Wagner?
 
Otto Koloman Wagner (* 13. Juli 1841 in Wien; †  11. April 1918 ebenda) wurde bis zu seinem neunten Lebensjahr von Privatlehrern und französischen Gouvernanten erzogen. Anschließend besuchte er für zwei Jahre das Akademische Gymnasium in Wien, bevor er in das Internat der Benediktiner in Kremsmünster wechselte. Bereits mit sechzehn Jahren studierte er am Polytechnikum in Wien. Wagner wurde wegen seiner ausgezeichneten Leistungen am Polytechnikum vom Wehrdienst befreit und konnte sofort an die Königliche Bauakademie in Berlin gehen. An der Königlich-Preußischen Bauakademie konnte er sein Studium fortzusetzen. Zurück in Wien war Otto Wagner von 1861 bis 1863 Schüler an der Akademie der bildenden Künste.

1862 begann Wagner seine Karriere als Architekt. So hatte Wagner die Bauleitung bei der Errichtung des Epsteinpalais inne. 1863 gewann Wagner seinen ersten Wettbewerb – für das Casino im Wiener Stadtpark. Beim Wettbewerb um den Kursalon im Stadtpark trat Wagner erstmals künstlerisch an die Öffentlichkeit; er errang zwar den ersten Preis, doch wurde ihm die Ausführung des Baus nicht übertragen. 1873/1874 baute er gemeinsam mit Otto Thienemann den Grabenhof, 1879 errichtete er einen Erweiterungsbau des Dianabades. Zudem entwarf Wagner zwischen 1880 bis 1883 mehrere Miethäuser im Ringstraßenbereich.
 
Wagner war auch ein Gelehrter und Wissenschaftler. Ab 1884 lehrte Wagner an der Akademie der Bildenden Künste. Die nächste Schaffensperiode Wagners leitete 1893 das preisgekrönte Wettbewerbsprojekt für eine Generalregulierung, eine umfassende Stadtplanung für Wien, ein. Darunter fallen die Bauten der Stadtbahn und der Vorortlinie ebenso wie die Kaianlagen am Donaukanal (1898−1908) samt dem sogenannten Schützenhaus (1906/1907) sowie dem Nussdorfer Wehr.
 
1897 gehörte Wagner neben Architekten und Designern wie Josef Hoffmann und Joseph Maria Olbrich, die seine Schüler waren, sowie Koloman Moser und dem Maler Gustav Klimt zu den Gründern der Wiener Secession. Wagner begann, sich der typischen sezessionistischen Ornamentik zu bedienen, für die er am bekanntesten ist. Charakteristisch sind zwei Gebäude an der linken Wienzeile (1888-89), die einzigen realisierten Entwürfe eines ehrgeizigen Vorhabens, einen stilvollen Boulevard entlang des kurz zuvor regulierten Flusses Wien zu errichten. Das berühmteste dieser beiden Gebäude ist das Majolikahaus, benannt nach den rosa Majoliplatten an der Fassade. Von 1899 bis 1905 war Wagner Mitglied der Wiener Secession, dann löste er sich von dieser. Wichtige öffentliche Projekte dieser Schaffensperiode waren das Postsparkassenamt (1904−1906) sowie der Generalplan der Psychiatrischen Krankenanstalt „Am Steinhof“ mit der Anstaltskirche (1904−1907). Diese Kirche am Steinhof ist ein typisches Sezessionsgebäude.
 
Otto Wagner war auch international tätig. So entwarf er beispielsweise den Vorschlag für die Synagoge in Budapest. Er reichte auch einen Entwurf für den Bau des Friedenspalastes in Den Haag ein. Der Friedenspalast ist Sitz des Internationalen Gerichtshofs der Vereinten Nationen. Zwei Friedenskonferenzen fanden in Den Haag statt, 1899 und 1907. Die erste Konferenz war eine Initiative des russischen Zaren Nikolaus II. Königin Wilhelmina war dort Ehrenpräsidentin. Für den Standort des ständigen Schiedsgerichts musste ein angemessener Platz gefunden werden. Auf der Suche nach finanziellen Mitteln für den Bau des Friedenspalastes wurde der amerikanische Stahlmagnat Andrew Carnegie angesprochen. Es wurde einen internationalen Wettbewerb ausgelobt. 216 Architekten reichten einen Beitrag mit einem Motto für den Entwurf eines Friedenspalastes ein. Eine hochkarätig besetzte Jury aus internationalen Architekten und Professoren wählte die Entwürfe aus. Vorsitzender dieser Jury war der niederländische Architekt Pierre Cuypers. Sechs Architekten erhielten die Möglichkeit, ihre Ideen zu entwickeln. Louis Marie Cordonnier aus Lille gewann schließlich den ersten Preis und wurde Architekt des Friedenspalasts Den Haag. Der vierte Preis ging an Otto Wagner.

Otto Wagner starb am 11. April 1918 in dem von ihm entworfenen Wohnhaus Döblergasse 4. Heute ist dort das Otto Wagner-Archiv der Akademie der bildenden Künste untergebracht.

Text: Henk Merkus
Foto: Kirche am Steinhof (C.Stadler/Bwag; CC-BY-SA-4.0 , via Wikimedia Commons)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert