Der Hering gehört zum ältesten Street Food der Welt – die niederländische Heringsfischerei begann schon vor 1.000 Jahren in Flandern. Lange Zeit war Hering ein Essen für Arme – wegen seiner Bitterkeit und seines Geruchs. Eine niederländische Erfindung änderte das im 14 Jahrhundert: Ein Fischer namens Willem Beuckelszoon ist darauf gekommen, die Eingeweide durch den Schlund herauszuziehen, anstatt wie gewohnt, die Bauchhöhle des Fisches durch einen Schnitt zu öffnen. Das half gegen den bitteren Geschmack. Beukelszoon füllte die Fische gleich am Bootsdeck in Fässer und bestreute sie reichlich mit Salz. Der Salz verhindert, dass sich das Fett im Hering zersetzte und wirkt somit gegen den schlechten Geruch. Diese Art, den Hering zu behandeln nennt man „haringkaken“. Und genauso wird es bis heute gemacht, in der Gegenwart allerdings maschinell. Das Salz konservierte den Hering so gut, dass er weit über die holländischen Grenzen exportiert werden konnte. Die Niederlande wurden auch dadurch zur maritimen Macht. Der erfindungsreiche Fischer bekam in seinem Geburtsort Biervliet in Zeeland ein Denkmal. Doch noch immer halten einige die Entstehungsgeschichte vom „haringkaken“ für eine Legende.
Im 18. Jahrhundert wurde zum ersten Mal der Vorläufer des „Vlaggetjesdag“ – der sogenannte „Buisjesdag“ – gefeiert. Mit „Buis“ sind die Büsen gemeint – Segelschiffe, die den Hering ans Land brachten. Die älteste Erwähnung des Festes stammt aus dem Jahr 1781. Der Buisjesdag wurde in mehreren Häfen in Nord- und Südholland gefeiert. In Scheveningen begrüßte der Statthalter Willem V. die Fischer höchstpersönlich. Anders als heute hat man damals nicht den erfolgreichen Fang gefeiert: Früher wurden die Schiffe an diesem Tag zum ersten Mal nach dem Winter zu Wasser gelassen. Am Buisjesdag testete man die Segel und später die Motoren. Um diesen Testlauf festlicher zu machen, wurden die Boote mit Fähnchen geschmückt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts veränderten sich die Fangtechniken, die Büse wurden durch andere Bootsarten ersetzt und der Name verlor seine Bedeutung.
Nach dem zweiten Weltkrieg versuchte man die Fischfangindustrie in den Niederlanden zu beleben und so feierte man nicht mehr den Testlauf der Boote, sondern die Ankunft des neuen Herings. Den Begriff „Flaggentag“ erfand ein Journalist, der im Jahre 1947 seinen Artikel über das Fest mit „Flag Day“ betitelte. In den 50er Jahren entwickelte sich der „Vlaggetjesdag“ in Scheveningen zum Großereignis. Eine große Ehre für das Fischerdorf mit den drei gekrönten Fischen im Wappen. Nun wird der Flaggentag traditionell im Juni gefeiert – in diesem Jahr am 18. Juni.
Die Fangsaison des Matjesherings dauert nur wenige Wochen. Doch warum eigentlich? Und was ist besonders an „Hollands Nieuwe“? Das Leben der Heringe besteht aus jährlichen Zyklen. Mit etwa drei Jahren werden die Fische geschlechtsreif und können ihre eigenen Nachkommen bekommen. Der Zeitraum von Mitte Mai bis Ende Juni gilt als der wertvollste, da der geschlechtsreife Hering zu diesem Zeitpunkt einen Fettgehalt von 16 bis 25 Prozent erreicht. Nach dem Kehlen (dem Entfernen der Kiemen, des Herzens, des Magens und des Vorderdarms) wird der Hering gesalzen und bei minus 20-30 Grad eingefroren. Dabei bleibt die Bauchspeicheldrüse im Fisch, der Hering reift später im eigenen Saft und wird mit der Zeit zu einer echten Delikatesse.
Nun zurück zum Vlaggetjesdag – was passiert da eigentlich? An diesem Tag findet unter Fischern ein Wettstreit statt, das sogenannte „Heringsrennen“. Das Schiff, das den ersten Heringsfang zuerst an Land bringt, wird zum Sieger erklärt. Im 19. Jahrhundert wurde, um die Bedeutung des Herings zu unterstreichen, das erste Fass mit einer Kutsche zum Palast Nordeinde gebracht. Königin Wilhelmina ändert diese Tradition jedoch. Sie wünschte sich nicht das erste Fass, sie wollte einen späteren, fetteren (und somit noch köstlicheren) Hering – einen Königshering eben. Jetzt wird das erste Fass des Matjesherings für einen guten Zweck versteigert. 2019 erzielte es einen Preis von 95.500 Euro. Der Erlös ging an die Kinderstiftung „Mag Ik Dan Bij Jou“.
Und wie isst man einen Hering so richtig – wie ein Einheimischer?
Na, wie wohl, am Schwanz haltend und kopfüber!
Guten Appetit!
Quellen und zum Weiterlesen:
Geschiedenis van Vlaggetjesdag
Zo is de traditie van Vlaggetjesdag ontstaan
Eerste vaatje haring brengt 95.500 euro op:
Kehlen (Wikipedia)
William Buckels (Wikipedia)
Buchtipp:
Huib Stam: Haring – de Vis die Nederland veranderde, 2011, 348 Seiten, gebunden, Uitgeverij Carrera, Amsterdam. ISBN: 978 90 488 2783 1
Foto: Valentina Coquil